Zu den Volksmärchen aus der Sammlungen der Brüder Grimm und anderer Märchensammler gibt es sehr verschiedene Ansichten. Einige Leute meinen die Märchen seien so grausam und gruselig, dass man sie Kindern nicht erzählen sollte. Der Psychologe Bruno Bettelheim (1903-1990) war da anderer Ansicht. In seinem Buch „Kinder brauchen Märchen“ schreibt er, dass Kinder durch Märchen sehr viel lernen können, weil diese Märchen sehr viele verborgene Weisheiten enthalten.
In jedem Fall haben Kinder, die diese Märchen kennen, anderen Kindern gegenüber einen Vorteil: Sie können erkennen und mitreden. Häufig wird man mit Motiven aus den Grimmschen Märchen konfrontiert: im Fernsehen, auf Werbeplakaten, usw. Sogar in manch einer Bäckerei, in der im Advent Knusperhäuschen angeboten werden. Leider kennen viele Kinder die Originalmärchen nicht mehr, sondern nur den Abklatsch, den Walt Disney, Simsala Grimm oder ähnliche ihnen bieten. In diesen Märchenverfälschungen ist die Veränderung des Originals für Kinder nicht ersichtlich. Und so verbreiten sich durch diese und andere Märchenverfälschungen Irrtümer. Zum Beispiel der, dass im Froschkönig die Prinzessin den Frosch küsst und er sich so in einen Prinzen verwandelt. Völlig falsch. Die Prinzessin hat den Frosch gegen die Wand geworfen und dann hat er sich verwandelt. Ist doch egal? Küssen ist schön, an die Wand werfen brutal? Auf solche Details kommt es nicht an? Doch, gerade diese Details machen die Märchen der Grimms so wichtig. Warum Küssen und an die Wand werfen für dieses Märchen einen riesigen Unterschied macht, zeigt die deutsche Sprache:
1) Das Wort Wand. Das Wort Wand ist aus dem Wort winden entstanden. Es heißt soviel wie 'das Gewundene' oder das Geflochtene'. Ursprünglich wurden Wände nämlich geflochten.
2) Das Wort Verwandlung. Auch das Wort Verwandlung ist aus dem Wort winden entstanden. Sich verwandeln bedeutet, sich selbst wenden, sich ändern. Und bei genauer Betrachtung fällt auf, dass das Wort Wand in dem Wort Verwandlung enthalten ist.
Man raubt Kindern die Möglichkeit, ein Gefühl für Sprache und kulturelle Zusammenhänge entwickeln zu können, wenn man ihnen die Märchen falsch erzählt. In jedem Fall sollten Kinder, bevor sie Märchen verniedlicht, verkitscht oder gar verfälscht über das Fernsehen kennen lernen, die Originalmärchen erzählt bekommen.