Freitag, 5. August 2011

Gab es schon immer soviel Musik wie heute?

-sv- Gab es schon immer soviel Musik wie heute? Oder gab es vor der Kommerzialisierung der Musik  weniger Musik? Oder anders gesprochen: Wenn wir heute nicht über CD, MP3 etc. verfügen würden, würden die Musiker, die jetzt veröffentlichen, ihre Musik dann im stillen Kämmerlein machen und es würde kaum einer etwas davon mitbekommen? Hätte z.B. Bob Dylan seine unzähligen Songs auch geschrieben, wenn sie nie hätten veröffentlicht werden können? Wären die Beatles in und um Liverpool eine angesagte Live-Band gewesen?

Erst seit 1900 gibt es so etwas wie eine Musikindustrie. Damals wurde in größerem Maße begonnen, Schellack-Platten herzustellen und zu verbreiten. Durch zwei Weltkriege und den hohen Preis für diese Platten, blieb der weltweite und endgültige Durchbruch aber aus. Seit den 1930er Jahren begann die Entwicklung der preisgünstigeren Vinyl-Schallplatten, die sich ab Mitte der 50er-Jahre gegen Schellack durchsetzte und ab diesem Zeitpunkt den Schallplatten-Weltmarkt eroberte. Hierzu trug das Aufkommen des Rock´n Roll und des damit transportierten Images sehr stark bei.

Mit der Möglichkeit, Musik weltweit günstig verbreiten zu können, beginnt folglich die Ära der Musik als Ware. Künstler, die sonst nur regional aktiv waren, konnten weltweit bekannt gemacht werden. Gleichzeitig inspirierten diese Künstler andere Musiker, ebenfalls Musik zu machen, in der Hoffnung, ebenfalls ein Star zu werden. So mancher Hobby-Musiker mit Talent konnte nun Profimusiker werden und im besten Fall einen Plattenvertrag ergattern. Unterstützt wurde dies durch das Aufkommen der "Solidbody-E-Gitarren" um 1950. Diese Bauweise ermöglichte eine günstige Produktion und deutlich mehr Menschen konnten sich eine Gitarre leisten, um selbst Musik zu machen.

Last but not least wurde diese Entwicklung unterstützt duch das Aufkommen des Transistorradios, das im Gegensatz zu den bis dahin gängigen Röhrenradios leicht zu transportieren und günstig zu erwerben war. Dazu kam die Inbetriebnahme des UKW-Rundfunks, der ab den 1960er-Jahren sogar in Stereo erfolgte und die massenhafte Verbreitung des Fernsehens - ebenfalls ab den 50er-Jahren.

Fassen wir zusammen: Ab Mitte der 1950er-Jahre konnte Musik via Vinyl-Platten verkauft und über das Radio/Fernsehen einer breiten Käufermasse bekannt gemacht werden. Hierdurch (und durch die Möglichkeit, günstig Musikinstrumente zu erwerben) wurden andere Musiker motiviert, sich professionell der Musik zuzuwenden.

Mehr Musiker brauchen mehr Auftrittsmöglichkeiten, es wurden Musik-Clubs gegründet. Durch diese neuen Auftrittsmöglichkeiten sahen sich wieder neue Musiker motiviert usw. usw.

Um auf die anfängliche Frage zurück zu kommen: Ich denke, dass es schon immer mehr Musik gab, als öffentlich zu hören war. Allerdings gab es bestimmt noch nie so viele Menschen, die Musik gemacht haben wie heute, in einer Zeit, in der via Youtube jeder ein Star werden kann. Auch ich habe begonnen Gitarre zu spielen, weil ich auf Platten Musik gehört habe, die mich inspiriert hat. Und diese Platten habe ich gekauft, weil ich die Musik im Radio bzw. im Fernsehen gehört habe. Und im Radio laufen konnte die Musik nur, weil sie auf Vinyl gepresst wurde.

Womit wir am Ende und doch am Anfang wären: Was ich nicht kenne, kann ich auch nicht vermissen. Bedürfnisse lassen sich künstlich erschaffen. Und dies tut die (Musik-)Industrie schon immer. Ob wir die ganze Musik, die ja oft auch sehr austauschbar ist, wirklich brauchen und ob nicht ein paar Platten genügen würden für unsere Glücksseeligkeit, steht in den Sternen. Dass immer neue Musik auf den Markt gebracht wird, um den Eindruck zu erwecken, es gäbe ständig Neues, das wir nicht verpassen dürfen, steht dagegen fest.