Donnerstag, 21. Januar 2010

Nord, der Film

-sv- Roadmovies ziehen sich seit den 60er-Jahren durch die Filmgeschichte und sind durch einen immer ähnlichen Handlungsablauf bestimmt: der Protagonist/die Protagonisten macht sich aufgrund bestimmter Lebensumstände auf den Weg, um sich selbst zu finden. Roadmovies sind Gleichnisse, bildhafte Geschichten, die den Zuschauer zum Nachdenken, zum eigenen Interpretieren des Gesehenen anregen. Berühmte Beispiele für Roadmovies sind Easy Rider; Stand by me; Rainman; Little Miss Sunshine; Paris, Texas; Thelma & Louise; Wild at heart; Bonnie & Clyde - um nur einige zu nennen (eine umfangreiche Liste findet sich hier).

Eher weniger bekannt sind The Straight Story von David Lynch und der deutsche Film Schultze gets the Blues:

  • In The Straight Story macht sich der 73-jährige Alvin Straight mithilfe eines Aufsitz-Rasenmähers auf den Weg zu seinem Bruder, den er seit 10 Jahren aufgrund eines bestehenden Streits nicht gesehen und der einen Schlaganfall erlitten hat. Lynch lässt sich viel Zeit für die Geschichte, erzählt leise und sehr eindringlich. Der Film berührt und ist absolut sehenswert [DVD].
  • In Schultze gets the Blues macht sich der ehemalige Bergarbeiter Schultze auf, seinem trostlosen Leben in Ostdeutschland den Rücken zu kehren. Auslöser ist ein Lied, dass er im Radio gehört hat, es ist Cajun-Musik. Inspiriert von diesem Lied, beginnt er auf seinem Akkordeon ebenfalls Cajun zu spielen und reist zu einem Fest der amerikanischen Partnerstadt seines Heimatortes, um dort seine Gemeinde zu vertreten. Als Schultze merkt, dass das us-amerikanische Fest nur eine Kopie der Feste in seiner Heimat ist, flieht er vor dem Trubel und entdeckt die Musik für sich. Am Ende bleibt offen, wie seine Zukunft aussehen wird/könnte [DVD].
Womit wir bei Nord wären. Zum Inhalt: Jomar, der nach einem Unfall seine Karriere als Sportler aufgeben musste, aus diesem Grund an einer Angststörung leidet und sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung befindet, lebt allein in der Talstation eines Skilifts, wo er vor allem schläft, raucht und Hochprozentiges trinkt. Als er erfährt, dass er einen 4-jährigen Sohn hat, macht er sich auf den Weg nach Norden, wo sein Sohn mit dessen Mutter lebt. Ähnlich wie bei The Straight Story, wählt er für seine Reise ein ungewöhnliches Transportmittel: er fährt die über 800 km mit einem Schneemobil/Motorschlitten (gegen Ende der Reise gibt dieses den Geist auf und er fährt auf Skiern weiter) - doch hier hören die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Filmen auch schon auf. Schon während der Reise verliert Jomar seine Ängste und lernt unterschiedliche Menschen kennen, die ihn zu sich selbst finden lassen. Der Film endet damit, dass Jomar bei seinem Sohn ankommt - was danach passiert, bleibt offen.
Der Film ist ein klassisches Roadmovie, bei dem der Protagonist eine Wandlung durchläuft. Leider ist er nicht so dicht inszeniert, dass einem Jomar wirklich ans Herz wächst. Und auch wenn der Filmverleih selbst den Vergleich mit The Straight Story zieht - Nord reicht nicht an den Film von David Lynch heran, er erscheint z.T. eher wie der Versuch, eine norwegische Variante der Geschichte sein zu wollen. Es fehlt der erzählerische Fluss, die emotionale Komponente. Vielleicht hätte sich der Regisseur von Nord zu Beginn des Films mehr Zeit nehmen sollen, den Protagonisten einzuführen. Da der Film keine 80 Min. dauert, wäre noch Zeit gewesen. Fazit: Ein schöner Film, der jedoch nicht so zu beeindrucken weiß, wie es vielleicht möglich gewesen wäre. Eine treffende Kritik findet sich hier.
Angemerkt werden sollte noch, dass das Drehbuch vom norwegischen Schriftsteller Erlend Loe stammt, dessen Romane "Doppler" und "Naiv. Super" auch als großartige Lesungen von Andreas Fröhlich (Die drei ???) erhältlich sind.