Mittwoch, 23. April 2008
Die Bildungsreise
-cp- Die Bildungsreise ist eine Novelle von Hartmut Lange. Inhalt: Der Kunsterzieher Müller-Lengsfeldt aus Berlin nimmt an einer Gruppenreise in Italien teil. Diese Reise verläuft auf den Spuren des Archäologen Johann Joachim Winckelmann (1717-1768). Die Reiseleiterin, Frau Ziegler, wirkt anziehend auf ihn, und so entsteht zwischen ihm und Herrn Schmeer, einem anderen Mitglied der Reisegruppe, eine nicht ausgesprochene Konkurrenz um die Gunst der Reiseleiterin. Die Reise endet nach einer Woche und Müller-Lengsfeldt beschließt, Winckelmanns Wirken auf eigene Faust bis zu seinem mysteriösen Tod in Triest weiter zu verfolgen. Seine Motive für dieses Vorhaben werden nie wirklich benannt. Sicherlich gibt es eine inhaltliche Neugierde auf der einen Seite, aber auf der anderen scheint diese private Bildungsreise auch der Versuch zu sein, Eindruck auf Frau Ziegler zu machen. Müller-Lengsfeldt ist ein eigensinniger Mensch, den seine Einsamkeit hilflos gemacht hat. Seine Versuche Kontakt aufzubauen wirken teilweise beinahe trotzig, als wäre er selbst ein pubertierender Teenager so wie die Schüler, die er als Kunsterzieher betreut. Letztlich führt dies zu viel Unverständnis und zur Verstärkung seiner Einsamkeit.
Die Novelle ist leicht zu lesen und wirkt selbst wie eine kleine Bildungreise. Neben anschaulichen Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten erfährt man einiges über den Archäologen Winckelmann, auf dessen Spuren die Hauptfigur wandelt. Und als ob diese beiden Ebenen nicht schon genügen würden, spielt Hartmut Lange mit dem Begriff der Novelle selbst und lässt an einigen Stellen einen Falken auftauchen, der als doppelte Anspielung zu verstehen ist, zum einen bezieht er sich auf den italienischen Autor Boccaccio, der als Urvater der Novelle gilt und dessen Falkennovelle den deutschen Schriftsteller Paul Heyse dazu bewegte, die sogenannte Falkentheorie zu entwickeln, die besagt, dass eine Novelle in der Regel ein Dingsymbol enthält, in dem sich der zentrale Konflikt der Geschichte wiederspiegelt.
Die besagten Tiefgründigkeiten in Hartmut Langes Novelle geben dem ganzen sicherlich ein hohes literarisches Niveau, allerdings wirkt sich ein hohes Niveau manchmal negativ auf den Unterhaltungswert eines Textes aus, und so ist es auch bei "Die Bildungsreise". Denn immer dann, wenn man über den Text erstmal nachdenken muss, gerät er ins Stocken und büßt an emotionaler Wirkung ein. Das Ende der Geschichte ist zunächst etwas unbefriedigend und scheint für interpretierwütige Deutschlehrer geschrieben zu sein. Dennoch ist diese Novelle insgesamt lesens- und empfehlenswert.