-cp- Das Jahr 1997 war aus Sicht der Kinder- und Jugendliteratur ein denkwürdiges. J.K. Rowlings erster "Harry Potter"-Band wurde veröffentlicht, 1998 auch in Deutschland. Die Geschichte rund um den jungen Zauberschüler bestach durch ihre farbenfrohe, virtuose Erzählweise und eroberte den Markt und die Herzen der Leser im Sturm. Sicherlich gab es viele Versatzstücke, die einem bekannt vorkamen, denn "Harry Potter" vermischte eine klassische Internatsgeschichte mit ein wenig "Krieg der Sterne" und "Herr der Ringe". Hier und da blitzte schwarzer Humor á la Roald Dahl durch, und auch sonst konnte manchem Leser das ein oder andere durchaus bekannt vorkommen. Aber in seiner Gesamtheit tat das der Originalität keinen Abbruch, denn allein die Schilderungen des Zaubererinternats Hogwarts mit seinen sich bewegenden Treppen, belebten Bildern und vor allem den skurrilen Bewohnern (wie z.B dem beinahe kopflosen Nick) waren außerordentlich lebendig und charmant. In den kommenden Jahren erschienen sechs weitere Teile sowie Hörbücher und Filme. Die Buchreihe wurde 2007 mit dem siebten Band beendet, der abschließende Film, Teil 7b, läuft ab Juli 2011 im Kino.
Ebenso wie die Figuren sich in den sieben Bänden und der sieben Jahre andauernden Handlung verändert haben, hat Rowling auch ihren Stil angepasst. Während der erste Teil durchaus noch als Kinderbuch durchgeht, wurden spätere Bände immer düsterer und stellten den großen, archaischen Kampf des Guten gegen des Böse zunehmend in den Mittelpunkt der Geschichte. Aus einem fantastischen Kinderbuch ist nach und nach Fantasy geworden, und das von Rowling erschaffene Universum darf durchaus als komplex bezeichnet werden, denn man muss schon Experte sein, um alle Figuren richtig einordnen zu können, wenn sie ein zweites Mal auftauchen. Selbst die Harry Potter-Fangemeinde diskutiert darüber, warum die Figuren z.B kein Essen (oder nicht jede Art von Essen) herbeizaubern können oder dürfen, und wie es sich mit Schlangenbissen verhält - sind sie heilbar, wenn ja durch wen oder wie? Rowling hat durch ihre Bücher die Sprache verändert, denn auf einmal kennt man Muggel, weiß, was ein Parselmund ist, und akzeptiert, ohne mit der Wimper zu zucken, die Tatsache, dass Horkruxe etwas sind, das gefunden und vernichtet werden muss.
J.K. Rowling hat mit Harry Potter sicherlich etwas geschaffen, das die Kultur verändert hat, denn die Gattung "Fantasy" scheint beliebter als je zuvor. Dennoch hat sie - auch kritische Töne müssen erlaubt sein - auch Potentiale verschenkt. Philosophische Ebenen, wie man sie in Michael Endes "Die unendliche Geschichte" oder Astrid Lindgrens "Ronja Räubertochter" findet, waren bei Rowling zu Beginn der Buchreihe zwar in Ansätzen da, wurden aber im Verlauf der Serie immer seltener. Das ist vielleicht dem großen Gegenspieler Harrys, Lord Voldemort, geschuldet, der durch und durch und abgrundtief böse ist. Er ist Massenmörder, Psychopath, Faschist und böser, übermächtiger Imperator. Er liefert keine spannenden Diskussionen oder Auseinandersetzungen, sondern sucht immer und direkt den Tod seiner Gegner. Das sorgt zwar für Spannung und hat Unterhaltungswert, aber für literarische Tiefe sorgt das nicht. Der Handlungsstrang der alles entscheidenden Jagd nach den Horkruxen hat die Anmutung einer Computerspielstory, und es wundert nicht, dass parallel zum Kinostart von "Harry Potter 7a" ein solches Computerspiel vermarktet wird. Es geht um keine wirklichen Entwicklungen mehr, sondern darum, eine spezielle Waffe zu finden, mit der man ein spezielles Artefakt zerstören kann. Genauso würde man einen Spielplot formulieren: Finde a und nutze es, um b zu zerstören. Vielleicht ist es gut, dass die Reihe mit dem siebten Band abgeschlossen wurde. Und vielleicht hätten sogar auch fünf Bände genügt.
So ist Harry Potter eine beeindruckende Buch- und Filmreihe, die als fantastisches Kinderbuch begonnen hat, immer mehr zur abenteuerlichen Fantasy wurde und die zeitgenössische Kultur geprägt und zum Teil sicherlich auch verändert hat. "Harry Potter" ist mehr als eine Figur, er ist eine Marke und liefert durchgehend gute Unterhaltung, wenn auch im Serienverlauf zunehmend auf oberflächlichem Niveau.